Freie Zeit

Liebe Gabi,

das ist vielleicht eine Altersfrage. In der Jugend ist Party eher angesagt, im mittleren Alter Familie, Fortbildungen, Arbeit, von daher verändert sich das Wochenendverhalten im Lauf des Lebens.

Freies Wochenende heißt für die meisten, den Haushalt zu erledigen, mal alles zu machen, was sonst liegen bleibt. Dann ist Sonntagabend und schwupps – nix wars mit frei.

Wochenenden werden vom Zeitfenster her oft  überschätzt. Da muss dann der ganze “Spaß” reingequetscht werden plus X, da knallt es  schnell in den Beziehungen und der Abend ist auch im Eimer.

Es macht mehr Sinn, sich jeden Tag ein Date mit sich selbst in den Kalender zu planen. Eine halbe Stunde für das eigene Wohlbefinden am Tag ist mehr als ein “freies Wochenende”. Das ist gute Selbstfürsorge. Rhythmus ersetzt Kraft. Wenn wir also unter der Woche unsere halbe Stunde einführen, wird das Gewohnheit.

Und es liegt immer an uns, in wieweit wir uns in einen Freizeitstress mitnehmen lassen. Die Welt geht nicht unter, wenn man nicht auf einer Feier war, nicht 500 Kilometer gefahren ist, nicht auf jeder Hochzeit getanzt, nicht jedes Fernsehprogramm geschaut hat. Im Gegenteil – das Leere, das Nichts zwischen den Dingen ist der notwendige Schnauf, den wir brauchen und zwar täglich, dann ballen sich nicht die Erwartungen aller am Wochenende und überschneiden sich. Der eine will rumhängen, der andere aktiv sein und die Kinder wollen ins Schwimmbad. Oma mag zu Besuch kommen und die besten Freunde feiern am Abend. Und alles an exakt diesem Wochenende.  Immer nur das einplanen, was sein muss (Omas 90. ist wichtig), dann das, was Freude macht. Mehr vom Schönen, weniger vom Nervigen. Jeden Tag ein bisschen üben! Wir sind vielleicht frei, aber leiden durchaus an den (un)freiwillig geknüpften  Schnüren, mit denen wir mit anderen vernetzt sind. Mehr Mut zur Lücke, zur Pause, zum dolce vita.

Schönes Wochenende!

 

Freitag – hurra…. oder doch nicht?

Freitag – für viele der letzte Arbeitstag der Woche. Für manche fängt der Stress aber heute nachmittag erst richtig an. Wo gehe ich am Wochenende am besten Feiern? Was unternehme ich an den kommenden freien Tagen? Wie entspanne ich jetzt ganz schnell, damit ich die nächste Woche wieder powern kann? Wie packe ich alles in den Samstag und Sonntag, was ich unter der Woche nicht geschafft habe? Eine gute Planung ist notwendig. Hm, wie war das nochmal mit dem freien Wochenende?

Von der Lebensschule zur Lebenskönnerschaft

Liebe Gabi,

Disziplin, ein Schreckgespenst im Wörterdschungel! Das lateinische Wort disciplina heißt “Zucht”, “Lehre”, aber auch “Schule”. Disziplin kann meinen: “Gehorsam des Befehlsempfängers”, eine Einzelwissenschaft (“er ist fit in allen Disziplinen” meint, dass  er beschlagen in vielem ist), eine Sportart oder eben Selbstdisziplin.

Disziplin wird immer da gefordert, wo Menschen etwas tun sollen, wo Leistung erwartet wird. Ich habe 13 Jahre klassisches Ballett gemacht. Mein erstes Wort in Verbindung mit einem Rohrstecken war “Diiiiisziplinnnn”. Bis zur dritten Klasse hielt ich das für eine bestimmte gestreckte Rückenhaltung mit anmutig ausgebreiteten Armen. Die Tragweite des Wortes wurde mir stetig bewusster ab den ersten Spitzenschuhen. Da habe ich viel Disziplin “eingetrichtert” bekommen, aber einen Kampf  gewonnen – die Lehrerin hat es nicht geschafft, mir mein “Nein, mach ich nicht” auszutreiben.

Was du angesprochen hast, berührt  die Deutung “Zucht”. Das ist ein negativer Begriff für uns: Zucht & Ordnung, Zuchthaus, züchtig sein. Da haben wir eine Obrigkeit, der zu gehorchen ist und eine Schafherde, die zu folgen hat, wenn der Hund sie nicht “zurück ins Glied!!” beißen soll.

Was gemeint ist, ist Disziplin im Sinne von Selbstführung oder Selbstregulation, neudeutsch Self Management. Wer sich nicht selbst führen kann, kann auch keinen anderen führen. Da finde ich den Begriff nicht mehr negativ, sondern als Herausforderung. Wer bin ich? Was kann ich? Wo stehe ich? Was will ich erreichen? Das setzt voraus, dass ich still werde, Erkenntnis über mich selbst gewinne, Ziele ausarbeiten und mich für ihre Erreichung einsetzen kann. Disziplin in diesem Sinne ermöglicht mir, mir das Wissen anzueignen, was ich brauche, um meine Ziele zu erreichen.  Sie bringt mich auf den Weg und führt dazu, dass ich mich reflektiere in meinem Können und meinem Unvermögen.

Disziplin bei Krankheiten? Seltsame Vorstellung, aber bei der weit verbreiteten Jammerkultur möglicherweise notwendig. Die alten Griechen kannten die Kunst der Menschenführung im Krankheitsfall. Da musste der Mensch vor dem Tempel von Kos ganz klar sagen, dass er Heilung wünscht und wer das Tor durchschritt, wusste genau: Das wird ne Menge Arbeit geben. Die kann mir keiner abnehmen, die muss ich selbst tun bis hin zu Krise und Katharsis.

Wenn wir heute dem Begriff Disziplin begegnen, merken wir die subtile Forderung dahinter. Einerseits der Wunsch anderer, uns zu beherrschen, andererseits die Aufforderung des Wortes an sich, uns selbst zu beherrschen. Damit sind wir beim Tempel von Delphi: Erkenne dich selbst. Wenn wir uns erkannt, unsere Stärken und Schwächen gesehen und angenommen, uns ausgerichtet haben auf das, was wir erreichen möchten, haben wir alles an Disziplin erworben, was es braucht, um Durststrecken auf dem Weg zu überstehen. Dann wird aus dem Besuch der Lebensschule Lebenskunst und vielleicht, am Ende, Lebenskönnerschaft. Insofern: nehmen wir dem Wort Disziplin den Rohrstockbeigeschmack und betrachten es als herzliche Einladung, uns selbst kennen zu lernen. Ein Mensch, der sich kennt und um seine Ziele weiß, entwickelt aus sich heraus die notwendige Disziplin. Er braucht keine “Zucht”. Er weiß, dass das Leben seine Hürden hat. Er nimmt sie einfach oder er geht außen herum, je nach Fähigkeit. Aber er geht.

Disziplin im Zuchtsinn braucht keinen Urlaub. Das bedeutet ja, sie kehrt gestärkt zurück. Nein danke. Wer darauf angewiesen ist, stützt sich auf eine zerbrechliche Macht, er wird nicht geliebt, nur gefürchtet, das ist nie von Bestand. Angst erzeugt nie Liebe.

Nehmen wir lieber den Begriff der Lebensschule – die ist nicht immer spaßig, aber da wir unser Ziel vor Augen haben, werden wir nach und nach die notwendigen Seelenkräfte entwickeln. Dann sind wir brave (im Sinne von beherzte) Schüler, hier schließt sich der Kreis: lateinisch discipulus/a im Labor (= Mühe) des Lebens.

Allen einen Tag mit vielen Möglichkeiten zur Selbstregulation und einem guten Gespür, wann wir von außen diszipliniert werden sollen, um den Erwartungen anderer zu entsprechen. Das könnte viele Erkenntnisse bringen. Und herzliche Einladung, mitzukommentieren. Es gibt sieben Milliarden Menschen. Also auch mindestens so viele Meinungen!

Disziplin fällt sooo schwer

Liebe Christine,

wie viel Disziplin braucht es eigentlich wirklich um etwas zu erreichen?  Überall wird sie gefordert, in der Schule, beim Lernen, im Job,  beim Sport, beim Überwinden einer Krankheit und vor allem beim Lebensstil. In diesen ersten Frühlingstagen könnte die Disziplin doch auch einfach mal Urlaub machen.

Von Taxis und der Lokomotion

Liebe Gabi,

was ist Bewegung? Physikalisch, mathematisch und musikalisch ganz klar definiert. Als Lokomotion bedeutet Bewegung die “Ortsveränderung von Lebewesen”. Bewegung kann auch körperliche Aktivität meinen. Eine soziale Bewegung gibt es auch. Und Taxis. Nein, nicht die Fahrzeuge sind gemeint, sondern “die Bewegungsausrichtung eines Lebewesens auf ein Ziel”. Möglicherweise meinst du diese Bewegung, wobei ich natürlich weiß, dass du ein fitter Läufer bist und oft die Erfahrung machst, dass durch die Bewegung im Außen das Innen ebenfalls geordnet wird, der Kopf sich frei fühlt und der Körper optimal Stress abbaut. Für diesen Zweck empfehle ich auch allen Menschen Bewegung.

Veränderung hat zwei Bedeutungen – zum einen Modifikation, Umwandlung, Umgestaltung, aber auch: Neuausrichtung, Abkehr von Altem, Wechsel und Wandel.

Insofern sind deine beiden Thesen richtig. Veränderung  ist Bewegung und wenn wir uns bewegen, verändern wir etwas. Im geringsten Fall unseren Standort, wir verlassen also einen alten Standpunkt und nehmen einen neuen ein.  Wenn wir in einer Lebenssituation verharren aus Angst vor Neuem, wird das “Schicksal” von außen Wandel erwirken. Wir alle wünschen uns, wandelbar zu sein, uns “anzupassen” an Neues, damit gut umgehen können, neudeutsch “etwas händeln können” – da wären wir ganz eng bei der Handlungsfreiheit des Menschen. Handhaben wir die Freiheit und bewegen wir uns? Mediziner sagen: viel zu wenig Bewegung. Und ich denke: Wer sich nicht im Äußeren bewegt, wird auch im Inneren unbeweglich, er klammert sich an das Alte und hat dadurch keine Hand mehr frei. Wir erstarren in Kälte, denn wenn es uns an Bewegung fehlt, wir nicht mehr berührt werden können, sind wir wie die Eisprinzessin im Märchen in ihrer wunderschönen, aber leider eiskalten Welt ohne Gefühle – bewegungsstarr, lebensunfroh.

“Wir müssen der Wandel sein, den wir in der Welt zu sehen wünschen”, hat Mahatma Gandhi festgestellt. Ein Mann, der sich sehr viel bewegt hat, auch wenn das ursprünglich nicht auf seiner Wunschliste fürs Leben gestanden haben mag. Doch er hat erkannt, was seine Aufgabe ist, hat sich “auf den Weg gemacht”, hat die Menge in Be-WEG-ung gebracht und bewegt unsere Herzen bis heute.

“Wohl ist alles in der Natur Wechsel, aber hinter dem Wechsel ruht ein Ewiges.” Goethes Wort zeigt beide Seiten: alles ist im Wandel, in Bewegung, Tag fließt aus der Nacht, Frühling kommt, die Raupe wird Schmetterling, aber hinter all der Bewegung, dem Wechsel, der Veränderung ist eine tiefe, große, wohltuende Ruhe. Es ist, wie es ist. Und es ist gut so.

Ich wünsche allen einen bewegenden Tag.

Aufmerksamkeit allein genügt mir nicht

Aufmerksamkeit – was ist das? Ein Akt der Konzentration, eine Wahrnehmungsfähigkeit, die sich auf etwas oder jemanden fokussiert. Wir können unsere Aufmerksamkeit bewusst steuern, wenn wir gesund sind. In krankem Zustand verlieren wir diese Fähigkeit, da schwindet sie hinweg. Aufmerksam können wir sein im Sinne von “wach”, vigilant, aber auch: in unseren Sinnen bewusster wahrnehmen.

Wenn ich wertschätze, brauche ich mehr als Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit hilft mir, wahrzunehmen, was der andere braucht, was er wie tut, macht, ich kann ihn mit meinen Augen sehen, mit den Ohren hören, ihn in seinem Tun zusehen. Das erschließt mir nicht den gesamten Menschen. Ich denke, Achtsamkeit hilft mir da mehr. Achtsamkeit ist eine andere Qualität als Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit hat viel mit meinem Geist, meiner Wachheit zu tun.  Ich bemerke etwas, weil es sich unterscheidet vom “Normalen”, dann fällt es in mein Bewusstsein oder ich mache es mir gezielt bewusst.

Achtsamkeit ist wertfrei, bezieht sich auf Denken, Fühlen und Wollen und nutzt alle Sinne, um in den anderen hineinzulauschen, -schmecken, -riechen, -sehen, -fühlen. Achtsamkeit bedeutet für mich nicht “beobachten” im Sinne einer aufmerksamen Wahrnehmung, sondern Wertschätzung der Dinge, der Welt, der Menschen etc. an sich.  Bin ich achtsam, bin ich “weit wie der Himmel”, wie Matthieu Ricard es in einem Gespräch mit dem Hirnforscher Wolf Singer (“Hirnfoschung und Meditation”, Suhrkamp) bezeichnet hat. Ich kann die gesamte Welt wahrnehmen, nichts rückt wie bei der Aufmerksamkeit in den Vordergrund, alles ist, darf sein, hat Raum und sein Potential. Wertungsfrei, mit weit geöffneten Herzenstüren.  Dann wird die Welt mit einem Mal still, weit und liebevoll. Das setzt einen ruhigen Geist voraus, der nicht mit seinem Aufmerksamkeitsscheinwerfer Dinge beleuchten muss, sondern wir dürfen in der Ruhe des Geistes mit Gleichmut, mit einer “Meeresstille des Gemüts” die Wunder der Welt  bestaunen.

In diesem Sinne heute allen viele Gelegenheiten zur Wertschätzung.!

Sinn – haft, los, lichkeit …

Sinne trainieren – eine gute Idee. Sehen, hören, riechen, schmecken und tasten sind allen bekannt, aber wir haben noch viel mehr Sinne wie Gleichgewicht, Wärme, Bewusstsein über unsere Gliedmaßen im Raum, Ich-, Wort- und Sprachsinn und vieles mehr.

Der Leicht-Sinn ist ein bedeutender Seelen-Sinn, denn etwas leicht nehmen heißt, sich zutrauen, auch das Schwere ans Licht zu halten und dann erstaunt festzustellen: Es ist nicht schwarz und eine Masse, es hat Struktur, es hat Leuchtkraft und im Licht verwandelt es sich vielleicht. Eine hohe Qualität im Leben. Trainieren wir also ruhig unseren Leicht-Sinn, unsere Fähigkeit, zu träumen, zu lachen, liebevoll stehen zu lassen und die Zeit gut zu nutzen – wenn die Sonne so strahlt wie heute, werden wir alle leichter, fröhlicher und wünschen uns, in die Sonne gehen zu können. Trainieren wir ruhig unsere Sinne, legen wir die PC-Maus aus der Hand und berühren eine Baumrinde, fühlen wir mal unsere Knie an, ob sie kalt oder warm sind, schmecken wir bewusst eine Rosine und riechen wir mal, ob wir den Frühling schon finden können in den ersten Schneeglöckchen und starren wir weniger auf den Bildschirm und mehr in die Landschaft und freuen uns. Das erste Feld vor meinem Fenster hat sich über das Wochenende mit einem grünen Flaum geschmückt. Es wächst eben doch “viel Brot in der Winternacht”.

Sinne trainieren heißt wach zu sein für die Eindrücke, die die Welt bereit hält, sie aufnehmen mit dem Staunen des Kindes, denn es herrscht Vielfalt für den, der staunen kann. In diesem Sinne einen sinn-vollen Tag!