Liebe Gabi,
ich kann mit dem Gedöns um die Feiertage, um den Gigantismus zu Silvester oder gute Vorsätze zum neuen Jahr nicht viel anfangen. Ich habe vor den Feiertagen in den Vorträgen und Kursen vorgeschlagen, dass sich die Menschen in diesen Tagen intensiv auf die Botschaft der Raunächte einlassen und die Zeiten nutzen, um sich Gedanken darüber zu machen, was sie denn in ihrem Leben noch tun möchten, um auf dem Sterbebett nicht in die Klage zu verfallen “ach, hätte ich damals doch xy g emacht”. Wir bereuen am meisten die Dinge, die wir nicht gemacht haben. Mit 102 fange ich kein Fallschirmspringen mehr an. Wenn ich im Rollstuhl sitze, wird die Besteigung des Mount Everest schwerer sein als auf dem eigenen Fuß. Vorsätze fürs neue Jahr sind vollkommen sinnfrei, denn am 1. 1. abends sind sie längst vergessen.
Mir geht dieses Gewusel und Gewürge vollkommen ab. Für mich ist jetzt die Zeit im Jahr, in der ich absolut nicht an äußeren Dingen interessiert bin. Ich muss nicht herumrennen und Partys organisieren. Ich brauche keine Sektflaschenberge oder Böller, die meinem Hund und der Katze jedes Jahr
drei Tage Durchfall und Angstattacken bescheren. Ich brauche keine Marzipanschweine, Glückswürfel oder Bleigießausstattungen. Nur meine Ruhe vor all diesem Quatsch und eine Besinnung auf das, worum es gerade geht in Tagen, in denen die Pforten zwischen Leben und Tod weit offen stehen. Da kann ich in die Stille gehen und mir über vieles Gedanken machen. Aber ganz sicher nicht über das Wort “Stress”, das für die meisten in diesen Tagen übersetzt bedeutet “wer organisiert wo welche Feier für wie viele Leute”. In solchen Zeiten schätze ich es sehr, mich von diesen Dingen bestens abgrenzen zu können.
Beim Einkaufen war ich heute Morgen allein im Laden. Alles hat noch geschlafen. Sehr angenehm. Keine Nervensägen. Kein Geschubse, kein Gerangel. Als die Welt erwachte, war ich weit fort, draußen mit dem Hund ganz allein ohne irgendwen, war das schön.
Kein Stress. Keine guten Vorsätze. Keine Party. Hoffentlicht keiner, der meint, ich müsse meine Einsiedelei aufgeben und zu einer der tausend überflüssigen Feiern gehen, die Antwort wäre ohnehin sehr unhöflich und kurz “Danke, auf keinen Fall.” Ich danke sehr für die wenigen Tage zwischen den Jahren, in denen Ruhe herrscht, die ist mir heilig. Jeder mag feiern und Vorsätze fassen, wie er mag. Das ist jedem gänzlich unbenommen. Solange er mich damit nicht behelligt, ist das alles gut. Bevor wir meinen, uns weiterhin mit Essen vollstopfen zu müssen, sinnlos Krach in der Silvesternacht zu machen und Tausende von Euronen in die Luft zu blasen, wäre Nachdenken hilfreich, aber auch daran werde ich nichts ändern, insofern – sinnfrei, ich vergeude da keine Energie hinein.
Lieber meine Liste mit Dingen, die ich zu Lebzeiten noch tun, erledigen, erleben möchte, prüfen, die es seit Jahren gibt. Das macht für mich mehr Sinn.
Da gehe ich doch lieber jetzt Schneeschippen auf meinem Berg, weil es hier oben seit zwei Stunden kräftig schneit. Eine herrliche Übung in Achtsamkeit und alles außer Stress.
Allen viel Freude beim Vorbereiten ihrer Feierlichkeiten, beim Feiern und allem, was Menschen so in diesen Tagen meinen tun zu müssen.
Christine