Kategorie-Archiv: Geschichte
#47
Das Mahl dauerte Stunden. Diarmaid hatte während des Essens berichtet, dass die dunkle Seite die Macht übernommen habe. Die Menschen wären so entfernt von allem, was das kleine Volk sie einst gelehrt hatte, dass nun keine Verbindung mehr sinnvoll war.
Es klopfte. Die Tür schwang auf und mit ihr drang ein Schwall eisigster Kälte herein. Die Gestalt füllte den Türrahmen vollständig aus. Dunkelheit legte sich auf alles. In Sekundenbruchteilen war das gesamte Haus zerfallen, als wäre es eine Illusion gewesen. Die 13 sprangen auf, ehe die Stühle unter ihnen zu Staub zerbröselten. Rundum standen schwarze Gestalten.
„Es ist vorbei“, sagte der Schwarze. Er wandte sich an Aonghas und Mordagh. „Wir hatten eine gute Zeit miteinander. Kommt jetzt.“
Aonghas und Mordagh traten Hand in Hand nach vorne. Aonghas ergriff seinen Stock fester und hielt ihn gegen den Schwarzen, der seinerseits seinen Stock emporgehoben hatte. Zwischen den Stöcken glühte die Luft, Funken stoben. Aoghas, Mordagh und der Schwarze waren von so grellem Licht umgeben, dass niemand mehr etwas erkennen konnte. Eine riesige Flamme schoss in der Mitte empor und es gab eine so heftige Druckwelle, dass alle von den Füßen gerissen wurden. Für den Bruchteil eines Augenblicks schien alles wie in gleißendes Licht getaucht, ehe der Schmerz, die Welle kamen und alles hinwegfegten, was dort gestanden hatte. Kyra sah im Augenwinkel, wie ein riesiger Wolf mitten in den Lichtstrahl sprang, doch dann zerbrach etwas in ihrem Kopf und sie konnte nichts mehr wahrnehmen.
Die Macht der Stäbe hatte eine riesige Welle ausgelöst und ein kreisförmiges Loch in den Wald gerissen. Nach dem Aufruhr der Druckwelle hatte es Stunden gedauert, bis auch das letzte Blatt, das hochgewirbelt worden war, zu Boden gesunken war. Dort lagen 25 Gestalten am Boden. Sie waren tot.
Einen Wolf hatte es fast zweihundert Meter weit in ein Schlehengebüsch geschleudert. Er öffnete ein Auge, dann ein zweites. Sie hatten verschiedene Farben. Der Wolf versuchte, sich aus den Dornen zu befreien. Sein Fell riss an vielen Stellen ein. Er schleppte sich mühsam zu den Gestalten. Seine Aufmerksamkeit galt zehn von ihnen. Er leckte ihnen über das Gesicht, stieß sie an und knurrte. Sein Wolfsatem strich ihnen übers Gesicht und in die Nasen hinein. Eine Stunde dauerte es, bis sich der Erste regte und ein Auge öffnete.
Drei Tage und drei Nächte vergingen, bis die zehn soweit wieder hergestellt waren, dass sie aufstehen konnte. 13 Gräber hoben sie aus und legten die Wesen hinein. Auf jedes Grab setzten sie einen Holunderbusch. Dann entfachten sie ein Feuer auf der Lichtung. Zwei Gestalten lagen auf dem Holzstoß. Als alles lichterloh brannte, bildete sich eine weiße Wolke. Sie wurde dichter und dichter, nahm eine Herzform an. Die Wolke stand über der Lichtung wie ein Mahnmal. Und als das Feuer am höchsten war und die Zweige krachend in sich zusammenfielen, regnete die Wolke ab. Jeder der zehn bemühte sich, möglichst mit unter den Regen der Wolke zu kommen. Zehn Gestalten standen auf der Lichtung um den Holzstoß, Hand in Hand. Sie weinten und schwiegen.
Am nächsten Morgen trugen sie die Asche des Holzstoßes auf der Lichtung aus. Wo immer sie den Boden berührte, schossen Pflanzen hoch. Archangelika, Mädesüß, Beerensträucher, Hunderte von Heilpflanzen bahnten sich ihren Weg ans Sonnenlicht.
Die zehn traten noch einmal zusammen. Jeder wusste, was zu tun war. Der alte Kreis existierte nicht mehr. Das kleine Volk hatte mit Aonghas und Mordagh seine Ahnen verloren. Doch sie lebten. Diarmaids Mut, sich in den Strahl der Macht zu werfen, hatte ausgereicht, dass die Macht des Bösen nicht siegte, zudem war die liebende schützende Kraft von Aonghas und Mordagh groß genug gewesen, um ihre zehn Schüler zu retten. Nun war es ihre Aufgabe, in der Welt der Menschen die Taten des kleinen Volkes zu erledigen.
Dr. James Hill blickte auf sein Handy. „Kyra, los geht’s“, meinte er. „Wenn ich es richtig sehe, müssen wir schnellstmöglich nach Hause. In wenigen Stunden werden wir angerufen. Eine Dame namens Fiona wird ihr Kind bekommen und weil wir die nächste Arztpraxis sind, wird sie sich bei uns melden. Übrigens, Kyra, sie hat etwas, das dir gehört. Allerdings“, meinte Hill lächelnd, „sie hat die zweite Fassung, die nur rufen, aber nicht heilen kann.“ „In ihrem Fall reicht das aus“, meinte Kyra. Sie seufzte.
Der Kleinwüchsige fragte „Darf ich mit? Ich würde gern wieder Brot essen. Zudem muss ich ja sehen, welche Aufgabe Diarmaid jetzt für mich hat.“ „Wieso?“, fragte Kyra verblüfft.
Der Walkürenritt schallte über die Lichtung. Collande drückte das Gespräch weg. „Naja“, meinte er vorsichtig. „Wenn ich Diarmaid richtig verstanden habe, plante er, jetzt mal als Mensch unterwegs zu sein. Und meines Wissens ist es unsere Aufgabe, Fionas Kind jetzt beizubringen, was seine Aufgabe ist.“
Die Lichtung leerte sich.
Drei Tage später stand ein schwarzer Nebel über den Gräbern. Er schien direkt aus den Grabstätten zu kommen. Er begann, sich zu verdichten.
Ein Rabe erhob sich über die Bäume. Er überlegte, wie lange er
wohl bis zu Hills Praxis brauchte, um seine Botschaft zu überbringen.
Es hatte abermals begonnen.
♯ 46
„Gib ihm die Brosche nicht!“ Fiona fuhr herum „Lennon? Wie um alles genericviagra-bestrxonline in der Welt…“ viagra use Wütend blickten sich die tadalafil online
beiden Männer an. Fiona schien, als wäre sie in der Zeit gefangen. Die Spannung zwischen ihnen war von unfassbarer Tiefe, wie in einem Strudel schien alles zu versinken. Sie spürte kaum, dass die Brosche in ihre Handfläche schnitt.
Fiona blickte in dunkel funkelnde Augen. „Sie gehört ihm, Lennon. Vermutlich schon immer. Es liegt nicht an mir, zwischen Gut und Böse, Richtig oder Falsch zu urteilen.“
„Fiona, erkennst du nicht, was hier geschieht?“ Lennon flehte sie verzweifelt an. „Ich kann nur meinem Gefühl folgen, Lennon. Zu oft werden Entscheidungen von außen beeinflusst. Es muss endlich aufhören. Ich spüre, Michael hat Recht, er ist der rechtmäßige Besitzer. Hier hast du sie zurück.“ Ein überraschter Ausdruck legte sich über Michaels Gesicht und mit einem gierigen Handgriff nahm er die Brosche an sich. „Endlich! Sie ist wieder viagraonline-4rxpharmacy zu Hause!“ Und ohne ein weiteres Wort ließ er die beiden stehen.
Fiona blickte zu Lennon auf, der fassungslos vor ihr stand. „Wie konntest du das tun? Diese Brosche trägt die Geschichten unserer Vorfahren in sich, Geschichten vom Leben und Sterben von Geburt und Tod. Seit Generationen wird sie mit den alten Weisheiten weitergegeben. Ich fass es einfach nicht! Ich wollte, dass du es erkennst. Die Schönheit der Natur, die Verantwortung für dich selbst. Das Leben an sich. Du hast generic pharmacy online nichts verstanden!“
In diesem Moment spürte Fiona das erste Mal ihr Kind in sich. Ein leichtes Klopfen, fast wie ein Streicheln bewegte es sich in ihr. Und in diesem Moment war sie sich ganz sicher, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Die Weichen für die Zukunft wurden vor langer Zeit unausweichlich gestellt. Für Michael, für sie selbst, für ihr Kind. Und auch für Lennon.
Fiona drehte sich um und ging davon ohne noch einmal zurückzublicken.
Ein paar Tage später fand sie sich in dem alten Antiquariat wieder. Die unfreundliche Ladenbesitzerin begrüßte sie mit einem Nicken, und Fiona bemerkte, dass sich die Frau an online viagra sie erinnerte. „Das kleine Lederbuch liegt immer noch im Regal, kaufen sie es dieses mal?“ „Ja, deswegen bin ich hier. Es ist für mich bestimmt.“
Liebevoll strich Fiona über den abgegriffenen Ledereinband und das Siegel auf der Vorderseite passte ziemlich genau in den noch immer leicht erkennbaren Abdruck in ihrer Handfläche.
#45
Diarmaid ergriff das Wort. Seine Stimme klang klar und hart. Jedes Wort, als sei es eine in Stein gemeißelte unumstößliche Wahrheit. Während er sprach, liefen Mordagh die Tränen über die Wangen und sie streckte ihm ihre Hände entgegen, doch Aonghas hielt sie zurück.
„Ich bin gekommen, um die Dinge zu beenden, wie es seit alters her vorhergesagt worden ist.“, begann Diarmaid. „Die Menschen haben das Kleine Volk nun endgültig vergessen. Dieser Kreis der 13 hier stellt die Letzten des Geschlechtes dar. Deshalb muss ich jetzt den Auftrag erfüllen, damit auch ich endlich sterben kann.“
Lähmendes Schweigen hing über der Lichtung.
In diesem Moment durchdröhnte der Walkürenritt von Richard Wagner die Stille. Die Magie des Augenblicks zerstob in Tausende von Fetzen. Diarmaids Gesicht verzerrte sich zur Fratze und Aonghas begann aus der Tiefe seines Bauches heraus zu lachen. Collande zog sein Handy aus der Hosentasche, murmelte ein verlegenes „Excusez-moi, aber Dienst ist Dienst“, stand auf und begann wild in sein Telefon zu sprechen. Er beendete das Gespräch rasch, klappte das Gerät zu und setzte sich wieder. „Äh, wo waren wir stehen geblieben“, fragte er, „beim Ende der Welt oder ist sie schon untergegangen zwischenrein?“ Aonghas Lachen war so ansteckend, dass die gesamte Runde in schallendes Gelächter ausbrach. Diarmaids Gesicht zuckte. „Ach, Diarmaid, lass uns das Ende der Welt noch ein wenig verschieben, bis wir uns das letzte Mal so richtig ausgelacht haben“, schlug Mordagh vor. Die Runde lachte, Diarmaid am meisten, und am Ende lagen alle vor Lachen am Boden.
„Das ganze Gekicher macht aber schon irgendwie auch hungrig“, meinte Hill nach einer Weile. „Könnten wir vor dem Finale nochmal alle zusammen was essen?“ „Schon wieder?“, fragte Kyra, doch Diarmaid meinte freundlich: „Naja, ich hatte schon lange kein Großmuttermahl mehr. Ich könnte was vertragen.“
Die Runde brach auf zum Haus der Alten. Die Blätter begannen wie wild zu wispern. Aus den Tiefen des Waldes dröhnte ein schreckliches Geräusch, doch die Runde bemerkte es vor lauter Lachen nicht.
♯ 44
Wie im Nebel nahm Fiona die Hektik der Einsatzkräfte um sich wahr, weder die Rufe der Feuerwehrleute noch die Sirene des abfahrenden Krankenwagens drangen zu ihr vor. Sie wusste, sie würde Noreen Brodie nie mehr wiedersehen. Obwohl sie sich erst vor kurzem kennengelernt hatten, hatte Fiona das Gefühl, die Greisin schon immer zu kennen. Und diese Verbundenheit würde bestehen bleiben. Schritt für Schritt ging sie von der Unglücksstelle weg, da wurde sie abrupt in die Realität zurückgeholt. „Du hast etwas in der Hand, was mir gehört.“ Michael schaute sie eiskalt an. Unwillkürlich schloss sie ihre Hand fester um die Brosche. „Sie hätte sie mir schon vor langer Zeit geben sollen. Es ist meine. Gib sie mir.“ Fiona blickte auf. Seine Augen waren dunkel vor Hass. Und Fiona sah in ihnen den Jungen, der hungrig, auf der Strasse lebend von den Brodies aufgenommen wurde, wie er heranwuchs, sich entwickelte und von Noreen in die alten Geschichten eingeweiht wurde. Das Buch, in Leder gebunden, mit einem Siegel auf der Vorderseite, welches sie in diesem alten Antiquariat nicht mehr aus den Händen legen wollte, und welches sie neben Noreens Bett auf dem Nachttisch erkannt hatte. Sie las in seinen Augen die ganze Tragödie. Er war vorgesehen, die alten Weisheiten weiterzugeben. Aber er hatte sich die Aufgabe nicht zugetraut. Zu groß war ihm die Angst erschienen, den Alten nicht gerecht zu werden. Immer mehr ist er ausgebrochen, abgetaucht in Ablenkungen, Alkohol, Drogen usw. Bis sie ihn aufgegeben haben. Auch die kurze Beziehung zu ihr, hatte ihn nicht zurückholen können. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Die Bilder in seinen Augen änderten sich. Hinter dem Hass konnte Fiona seine Hoffnungslosigkeit erkennen, seinen Schmerz, den kleinen Jungen, an den niemand mehr glaubte. Vor allem er selbst nicht.
Und in diesem Moment wurde ihr bewusst, nun lag es in ihrer Hand.
#43
Aonghas schwieg für einen Moment. Diesen Augenblick der Ruhe nutzten die Tiere, um sich zu ihren jeweiligen Menschen zu gesellen. Hills Rabe saß ruhig an seiner Seite. Collande wunderte sich nicht, dass der Bär hinter ihm Platz genommen hatte und er erschrak auch nur einen Moment, als er merkte, dass er sich wie automatisch an ihn angelehnt und der Bär das mit wohligem Gebrumm und einer mächtigen Pranke auf Collandes Bauch quittiert hatte. Es fühlte sich an wie ein Heimkommen. Kyras Hand wanderte in das Fell des riesigen Wolfs.
Mordagh erhob sich und alle im Rund spürten, dass dieses Paar eine Verbindung der mächtigsten Heiler aller Zeiten darstellte. Niemand wunderte sich, dass Mordaghs Hand ins Wasser des Quellsteins glitt und dort einen Lachs berührte. Ein Lachs im Quellstein – und doch war es genau so richtig. Der Bucklige schloss den Dachs in die Arme.
Mordagh erhob die Stimme und es war, als würde jedes einzelne Blatt an jedem Baum ihre Worte aufnehmen und weiterwispern. Jedes Wort setzte sich millionenfach in den Wald hinein fort, als besäße Mordagh auch die Gabe, Botschaften in die Welt zu setzen.
„Wir sind hier zusammengekommen, weil das Ende unserer Zeit als kleines Volk gekommen ist“, begann sie. „Seit alten Zeiten war es unsere Aufgabe, zu heilen, zu helfen und die Natur zu bewahren. Nun hat der Mensch die Herrschaft über die Welt übernommen. Eine Zeitlang war die Menschheit in der Lage, unser Wissen zu nutzen. Nun hat etwas die Herrschaft über die Menschen übernommen, dem wir nichts entgegen zu setzen haben. Seit Anbeginn der Zeit ist uns das Ende unseres Volks angekündigt worden und wir hatten in den letzten Jahrhunderten unfassbar viel Arbeit damit, die offenen Rechnungen, die das kleine Volk mit den Menschen hatte, zu begleichen. Wir sind fertig bis auf eine offene Rechnung.“
Über den Kreis senkte sich tiefstes Schweigen. Alle wussten, alle ahnten es. Und alle hatten Angst davor, dass Mordagh weiterspräche.
In diesem Moment trat der mächtigste Wolf aus dem Wald, der jemals erblickt worden war. In Sekundenbruchteilen hörte das Wispern der Blätter auf. Der Wind säuselte nicht mehr angenehm warm, aus der Luft stürzten winzig kleine messerscharfe Schneeflocken über die Gruppe. Frösteln überzog jeden, die Welt schien zu erstarren. Selbst der Bär hinter Hill hielt den Atem an.
Der Wolf trat vor Mordagh und Aonghas und verwandelte sich in Diarmaid. Die Luft blieb eisig. Der Atem wurde zu Wolken vor den Nasen und Mündern. Der Rabe scharrte unruhig mit den Krallen. Diarmaids Mal leuchtete. Er trug ein schneeweißes wallendes Gewand.
„Diarmaid, sei willkommen“, sprach Aonghas und seine Stimme klang noch tiefer als sonst. „Berichte, was du uns zu sagen hast.“
♯ 42
An der nächsten Strassenkreuzung erkannte Fiona das Ausmass des Unglücks. Die Löschkräfte standen um das alte Mietshaus, indem die kleine Wohnung von Mrs. Brodie lag. Aus den Fenstern drang schwarzer Qualm, Feuerzungen schlugen zwischen Rauch und Wasserfontänen immer wieder durch.
Fiona hatte eine dunkle Vorahnung. Auf einer Trage wurde von 2 Sanitätern eine leblose Gestalt herausgetragen. Fiona
rannte auf sie zu, Tränen stiegen ihr in die Augen. Am Krankenwagen konnte das Gesicht der Frau erkennen. Mrs. Brodie hatte ihre Augen geöffnet und blickte schwer atmend um sich. “Noreen”, Fiona schrie ihren Namen gegen den Lärm der umhereilenden Feuerwehrmänner. Die Alte blickte sie müde an. Ein schmerzverzerrtes Lächeln zog sich über ihr rußgeschwärztes, faltiges Gesicht. “Mein gutes Kind. Du darfst nicht aufgeben, viele gute Mächte stehen dir bei.” Sie suchte Fionas Hand, und umschloss sie fest. “Wir müssen sie jetzt ins Krankenhaus bringen, bitte treten sie zur Seite.” Der Sanitäter schubste Fiona unwirsch zur Seite. Mit diesem Moment löste sich ihr Handgriff, Mrs. Brodie atmete schwer aus und schloss müde ihre Augen. Fiona spürte einen tiefen Schmerz in ihrem Herzen und wusste, dass es ein Abschied für immer war. In ihrer Hand hielt sie eine alte Brosche.
# 41
Aonghas beendete die Mahlzeit mit einem Dank. Morghad stellte in der Mitte der Tafel das Geschirr zusammen. Mit einem Kopfnicken bedeutete Aonghas der Runde, aufzustehen und alle folgten ihm. Der Weg ging von der Hütte durch den dichten Wald hin zu einem Hain, der sich urplötzlich aus dem Dickicht zu öffnen schien. Ein Kreis alter Eichen umstand den Hain wie eine Runde uralter Wächter. Die Lichtung war vollständig mit Sonnenschein erfüllt, es summte und zwitscherte ringsum. Zentral in der Mitte der offenen Rasenfläche war eine gefasste Quelle mit einem mächtigen Quellstein. Das Wasser aus der Quelle floss exakt in die vier Himmelsrichtungen als kleine Bächlein davon. Rund um den Quellstein befand sich ein Kreis großer Steine. Es waren genau 13. Alle nahmen schweigend Platz. Die Blätter der Bäume rauschten. Obwohl es ein Wald war, stand da auch ein Apfelbaum, es fand sich eine enorme Vielzahl an Bäumen hier im Rund. Die Blätter bewegten sich im leichten Wind. Am Quellstein ließ sich ein Rabe nieder. Ein Wolf trat aus dem Wald und legte sich Aonghas zu Füßen. Ein Hase hoppelte ebenso heran wie ein Dachs, ein Eichhörnchen. Eine Amsel nippte Wasser aus der Quelle, neben ihr eine Meise. Viele Tiere näherten sich ruhig und gesellten sich der Gruppe zu. Niemanden störte es, als ein Bär aus dem Dunkel der Bäume trottete und wie selbstverständlich herankam und sich setzte.
Als Aonghas aufstand, wirkte er riesengroß. Sein weißes Haar schien in der Sonne zu funkeln. Der uralte Mann sah aus, als sei er auf dem Höhepunkt seiner Kraft. Sein großer Stab, den er stets beim Gehen bei sich trug, wirkte wie ein Pfahl, mächtig, kraftvoll und seltsam lebendig. Seine Kleidung war nun mit einem Mal leuchtend weiß, während die Runde in blau und grün dasaß. Mordagh nahm ebenfalls Platz, nachdem sie einmal um die gesamte Gruppe herumgelaufen war. Ein Kreis aus Salz und Mehl umgab nun die Steine. Mordagh schien von innen heraus zu leuchten. Obwohl sie so uralt wie Aonghas war, wirkte sie im Licht des Hains vollkommen zeitlos. Ihr Gesicht sah so voll Güte aus, dass alle im Kreis innerlich wie beglückt und befriedet saßen. Obwohl es taghell war, landete eine Eule direkt auf dem Quellstein. Es sah aus, als habe Aonghas nur noch auf sie gewartet.
Mit einem Mal legte sich der leichte Wind. Eine Biene nahm Platz auf Aonghas‘ Stabspitze.
„Meine Lieben“, begann der Alte mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme. „Wir sind hier jenseits von Zeit und Raum versammelt, weil wir uns nun gegenseitig helfen müssen. Viele von euch waren hier als Kinder, auch wenn sich einige kaum mehr daran erinnern. Ihr wart allesamt Schüler von mir, seid aber auch Mitglieder des kleinen Volkes. Der Eine mehr, der Andere weniger“, lächelte Aonghas. „Wir sind das kleine Volk, dessen Aufgabe seit Urzeiten das Bewahren der Gesundheit und der Natur ist. Wir sorgen dafür, dass die Menschen Hilfe bekommen. Wir richten oft wieder her, was sie in ihrer Dummheit bewirken. Wir wachen über die Natur. Wir kennen die Gesetze des Himmels und der Erde. Wir haben uns vollkommen zurückgezogen, weil die Menschen ihren eigenen Weg zu gehen haben. In alten Zeiten gab es die klare Trennung zwischen Menschen und dem kleinen Volk noch nicht. Wir lebten gemeinsam, wir achteten und respektierten uns. Krankheiten wurden zu dieser Zeit noch nicht betrachtet als mangelnder Glaube an Gott, denn Gott ist für uns die gesamte Natur. Wir achten die Schöpfung als Mutter und Vater allen Seins. Einige in dieser Runde sind teils Mensch und teils Mitglied des kleinen Volkes. Ihr habt Fähigkeiten des kleinen Volkes, deshalb seid ihr alle in eurer Welt Heiler oder auf den Spuren von unlösbaren Rätseln, denn das kleine Volk findet verschwundene Menschen, Seelen und hilft dem Menschen, wieder ganz und damit heil zu werden. Manche von euch haben viel Blut des kleinen Volkes in sich, denn ihre Familien waren immer eng miteinander verbunden. Eine Fähigkeit des kleinen Volkes ist, dass wir sehr lange leben. Jedenfalls wesentlich länger als Menschen. Und wer das Blut des kleinen Volkes in sich trägt, stirbt zwar nach Menschenfrist, aber die Erinnerung an die vorigen Leben hat er oft wie Träume oder Bilder, die er sehen kann. Er weiß zwar, dass sie wahr sind, aber er glaubt sie nicht. Ist das richtig so?“ Ein Blick in die Runde bestätigte es. Da nickten einige auf ihrem Stein.
„Ich habe euch alle einmal unterrichtet in der Kunst des Heilens. Ihr habt aber verschiedene Fähigkeiten. Du, Collande, bist ein Nachfahre von Colla, dem Erhabenen. Deine Fähigkeit ist nicht das Heilen, sondern das Entwirren von Fadenenden. Du kannst Zusammenhänge erkennen und die Fäden zusammenführen und entwirren. Deshalb hast du in der Menschenwelt einen solchen Beruf. Und Kyra ist eine Nachfahrin von Mairead, die in unserem Volk bekannt dafür war, dass sie allein durch die Macht ihres Wortes den Menschen Frieden ins Herz senken konnte. Sie war aber auch in der Lage, Schicksalsfäden zu halten und manchmal auch im richtigen Moment daran zu ziehen, wenn jemand ein wenig aus der Bahn zu geraten drohte. Deshalb bist du auch bei Hill, unserem Arzt, der die Heilkraft mitbekommen hat. Ihr alle habt das unglaubliche Pflanzenwissen, das Mordagh und ich euch einst gelehrt haben. Einige von euch hatten gemeinsam Unterricht, auch wenn ihr Menschen das nicht mehr immer wirklich wisst. Aber ihr kennt euch alle von diesem Hain, denn hier haben wir euch das Wissen gelehrt. Hier, unter dem Blätterdach der alten Eichen, führten wir euch in die Welt der Pflanzen ein. Einige von euch hatten tierische Lehrer, die sich hier ebenfalls versammelt haben. Deshalb habt ihr in eurem Menschenleben oft so eine Freude an bestimmten Tieren. Wobei“, Aonghas blickte ein wenig irritiert in Hills Richtung, „es natürlich weniger angenehm ist, wenn man ein ausgestopftes Tier auf den Schreibtisch stellt.“ Hill überflog eine leichte Röte. Er konnte es sich bis anhin nicht erklären, was ihn an einem Raben faszinierte, denn eigentlich hatte er seit Hitchcocks „Die Vögel“ eher ein sehr ungutes Gefühl, wenn er an Tiere mit Federkleid in schwarz dachte. Er schaute verlegen den Raben am Quellstein an. Dessen schwarze Augen schienen wie heiße Kohlen zu glühen. Offenbar missbilligte er Hills Dekoration ein wenig. Verständlich, dachte Hill und stellte sich kurz vor, er würde ausgestopft irgendwo stehen. Er verwarf den Gedanken, weil Aonghas weitersprach. Der Rabe schien ihm zuzuzwinkern.
♯ 40
„Was soll ich verstehen?“ Fiona schaute auf. „Nun, das Leben ist wie es ist. Doch letztendlich bleibt es immer deine eigene Entscheidung, wie du damit umgehst. Und – es gibt mehr, als nur eine Sicht der Dinge.“
Für Mrs. Brodie schien das Gespräch damit beendet, und sie schickte sich an, die Tassen wegzuräumen. Fiona blieb wohl im Moment nichts anders übrig, als sich damit zufrieden zu geben.
Auf dem Weg zurück zum Supermarkt hoffte sie, der Tag möge ohne weitere Überraschungen vorüber gehen. Und innerlich wappnete sie sich schon gegen die unangenehme Ansage, die sie sicherlich von ihrem Chef zu
erwarten hatte. Aber sie hatte Glück. Anscheinend waren die Umsätze am Vormittag recht gut gewesen, denn Mr. McDonar war nichts mehr von seinem morgendlichen Unmut anzumerken.
Fiona atmete erleichtert durch und stürzte sich in die Arbeit, froh über die Ablenkung.
Aber natürlich konnte sie das Rattern in ihrem Kopf nicht abstellen. Bis vor kurzem war sie sich noch völlig im Klaren, dass sie ihre Zukunft völlig vorhersehbar im Griff hatte, doch innerhalb weniger Tage war alles anders. Und nichts war mehr planbar. Zum ersten Mal musste sie vertrauen, dass sich die Dinge schon irgendwie gut entwickeln und sie im entsprechenden Moment die richtigen Entscheidungen treffen würde.
„Du musst die Verantwortung übernehmen“. Lennons Satz fiel ihr wieder ein.
‚Okay Lennon’, du hast es geschafft. Fiona musste trotz allem bei dem Gedanken an ihr Kind lächeln. Ja, es fühlte sich richtig an. Und – ein für sie ungewohntes Gefühl stieg in ihr auf: Ein Anflug von Zuversicht.
Als Fiona am nächsten Morgen auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle war, rasten mehrere Rettungsfahrzeuge der städtischen Einsatzkräfte an ihr vorbei. Irgendwo schien etwas passiert zu sein.
# 39
Collande erwachte. Er fühlte sich enorm ausgeruht und auf eine seltsame, seit Jahrzehnten nicht mehr verspürte Art und Weise wohlig behütet. Er hörte Vogelgezwitscher, offenbar saß er in keinem Wagen mehr. Er öffnete vorsichtig die Augen zu winzigen Schlitzen, sicherheitshalber, man wusste ja nie. Sonnenschein blendete ihn, offenbar befand er sich auf einer Waldlichtung. Er beschloss, die Augen vorsichtig ein wenig weiter aufzumachen. Er hörte Stimmen in der Nähe und als er sich unbeobachtet fühlte, machte er die Augen ganz auf. Er erkannte mehrere Menschen, die um einen riesigen Tisch herum im Freien saßen und aßen. Die Alte erblickte er, dazu den alten Mann mit dem Bart, den er im Flugzeug aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Erstaunlicherweise saß da auch der Kleinwüchsige, der ihm die Uhr gegeben hatte. Und eine Menge Menschen mehr aß gemütlich, während eine ganze Kinderhorde um den Tisch herumsprang.
„Na, aufgewacht“, drang eine frische Frauenstimme an sein Ohr. Er schrak zusammen. Neben ihm saß jemand! Es war eine junge, gepflegte Frau, deren Brosche ihm sofort ins Auge fiel. Irgendwie hatte er an dieses Schmuckstück eine Erinnerung, doch er wusste nicht, welche.
„Lassen Sie uns zum Essen rübergehen, Inspektor Collande“, meinte die Frau, griff nach seiner Hand und zog ihm hoch.
„Woher kennen wir uns?“, fragte Collande verwirrt, als er merkte, dass seine Beule ganz verschwunden war.
„Sie sind doch Patient in London bei Doktor Hill, nicht wahr?“, fragte die Frau. „Und ich bin Hills Sprechstundenhilfe. Wir haben uns schon einmal gesehen!“
Collande erinnerte sich. Er hatte Hill in den letzten Jahrzehnten einige Male aufgesucht. Nicht, weil er selbst sich krank gefühlt hätte, sondern weil Hill ein unfassbares Gespür für seltsame Fälle hatte, die Collande mit keiner Recherche der Welt hatte lösen können. Er war auf Hill gestoßen, als er in Paris eines Abends seinem Leben ein Ende setzen wollte und auf einer der Brücken über der Seine gerade dabei war, sein Vorhaben umzusetzen, als eine Männerstimme sagte: „Nun, Collande, was glauben Sie – kann man sein Selbst morden, seine geistige Natur, oder geht das nicht doch nur mit dem Körper? Und was, verehrter Collande, geschieht mit Ihrer Seele, welchen Körper sollte sie denn finden, um weiterzuleben, wenn nicht den, für den sie sich entschieden hat? Lassen Sie uns lieber ein Glas Wein trinken und über Ihre durchaus nicht so verzwickte Angelegenheit sprechen, der Sie diese irrige Ansicht verdanken.“ Ein fester Arm hatte nach Collandes Hand gegriffen und mit einem Fall flutete ihn Mut, Kraft und Energie, wie er es seit Jahren nicht mehr gefühlt hatte. Er war ohne Widerstand mit dem Mann mitgegangen, in ein Lokal und dort speiste Collande mit einem Bärenhunger, während der Fremde ihn anschaute. Er hatte zwei verschiedenfarbige Augen, was Collande fasziniert hatte. Der Mann stellte sich als Arzt James Hill als London vor, er sei auf einer Tagung in Paris gewesen, einer Tagung für übersinnliche Phänomene. Und so habe er auf dem Heimweg ins Hotel Collande entdeckt, der sei mit Abstand das spannendste Phänomen des Tages, lachte der Arzt. Und dann berichtete er Collande von seiner Arbeit. Collande vernahm die Worte, aber in seinem Kopf hörte er dennoch die gesamte Zeit andere Dinge wie: „Collande, erinnerst du dich, als wir gemeinsam im Wald gespielt haben? Collande, denkst du manchmal noch an Diarmaid, der mit uns gelernt hat? Collande, warum hast du das alles so weit weg geschoben und vergessen?“ Collande zuckte tief erschrocken zusammen, als er förmlich angebrüllt wurde: „Collande! Hör sofort auf mit diesem Mist! Wach auf und mach deinen Job, wie du es einst gelernt hast, und komm endlich wieder an!“ Colland schrak auf. Hill lächelte. Keiner der Gäste im Lokal hatte offenbar den Schrei gehört, denn alle aßen gemütlich vor sich hin, tranken aus dicken Gläsern schweren Rotwein und genossen den Abend.
Collande starrte Hill ins Gesicht und murmelte verwirrt: „Wir haben damals im Wald gespielt. Wir waren wie Geschwister. Wir haben gemeinsam gelernt beim Alten. Aonghas! Wir waren Schüler von Aonghas. Und Diarmaid war mit uns Schüler. Er war gut. Und ja – der Kleinwüchsige ist der Neffe von Aonghas. Er ist der Bote! Der Wanderer zwischen den Zeiten! Er kann jenseits von Raum und Zeit agieren! Und Kyra! Kyra ist die schöne Frau aus dem Dorf. Und sie liebte Diarmaid, was streng verboten war. Aber Diarmaid hatte ihr auch das Leben gerettet. So war das. Ich war auch in Kyra verliebt. Wir alle waren in Kyra verliebt!“ Er seufzte.
„Willkommen daheim“, befand Hill. „Jetzt können wir wohl mal wieder anfangen, vernünftig zu arbeiten. Ich brauche deine Hilfe für einen Fall und du meine.“
So war es wieder losgegangen mit dem Kontakt zu Hill und den Erinnerungen. Dann war eine Zeit totaler Überarbeitung angebrochen und Collande hatte alles verdrängt.
Bis zu dem Moment, an dem ihm der Kleinwüchsige die Uhr getauscht hatte. Da begriff er, dass es nun heimzukehren galt.
Er schaute Kyra an und meinte „Ich bin immer noch ein bisschen in dich verliebt.“ Kyra lächelte und antwortete: „Und ich habe immer noch Hunger, Babysitten für Riesenbabys ist anstrengend.“
Sie standen auf und traten zum Tisch.